Figuelotte

(04.03.06)

Fenster in die große Welt der Geschichte öffnen
Landschaftsverband stellt Unterrichtsmaterialien zu Sophie Charlotte vor

Kinder von heute für Geschichte zu begeistern ist offenbar gar nicht schwer - diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen, wenn man - wie anlässlich der Buchpräsentation "Figuelotte - Kindheit und Jugend einer Fürstentochter im Barock" - die Mädchen und Jungen an der Bad Iburger Grundschule am Hagenberg in ihren historischen Kleidern agieren sieht und die Historikerin Ulrike Heuer von den letzten Projekttagen berichten hört. "Die Kinder haben begeistert mitgemacht, als wir uns drei Tage lang mit Sophie Charlotte und ihrem Leben auf der Iburg vor über 300 Jahren beschäftigt haben." Eingestimmt auf die ferne Zeit durch eine Besichtigung von Rittersaal, Sophie Charlottes Geburtszimmer und der evangelischen Kirche im Schloss, hatten die Schülerinnen und Schüler sich mit dem höfischen Leben im Barock, mit der Kleidung, der Einrichtung und Beleuchtung, mit den Festlichkeiten, mit Musik und Tanz, aber auch mit dem alltäglichen Leben damals, mit Hygiene, Reisen, Spielen, Schreiben und Lernen befasst und die Vergangenheit mit ihrer eigenen Gegenwart verglichen. Noch Monate später werde sie immer wieder von Schülern auf Details des Herbstprojekts angesprochen, erzählt Frau Heuer, und das zeige, "dass wir Fenster in die große Welt der Geschichte geöffnet haben". Die Rektorin der Hagenbergschule Steffi Baalmann weist darauf hin, dass gerade bei einer solchen breit angelegten Projektarbeit, in der die Schüler erzählen, tanzen, basteln, vielleicht kochen oder mit dem Gänsekiel schreiben, "viele verschiedene Lernkanäle" geöffnet werden.
Und genau das ist eines der Anliegen der soeben vom Landschaftsverband Osnabrücker Land e.V. herausgegebenen Unterrichtsmaterialiensammlung "Figuelotte - Kindheit und Jugend einer Fürstentochter im Barock. Texte und Quellen um Sophie Charlotte (1668-1705)". Der Landschaftsverband, der sich auch mit anderen Projekten für das Lernen in der Region einsetzt, nahm den 300. Todestag der auf der Iburg geborenen späteren Königin in Preußen im letzten Jahr zum Anlass, eine lebendige, mit wunderschönen Bildern ausgestattete Sammlung von historischen Originaltexten aus der Lebenswelt des Barock herauszugeben, die sowohl den interessierten Laien anspricht als auch wissenschaftlichen Ansprüchen standhält.


Mit dem Nachbau einer Kredenz wie sie im Iburger Rittersaal zu finden ist, zeigten die Schüler, dass sie den Sinn des RepräsentationsMöbels voll erfasst haben. Und wenn einer der "Pagen" ein bisschen zu lebhaft auftritt, befindet er sich in guter Gesellschaft, schließlich, so kann man Briefen der Mutter von Sophie Charlotte entnehmen, war diese in ihrer Kindheit ebenfalls ein "Wildfang".

Wie vor 300 Jahren: In ihrer Schreibwerkstatt versuchten die Kinder mit dem Gänsekiel zu schreiben. Dr. Susanne Tauss, Dr. Joseph Rottmann und Reinhard Sliwka vom Landschaftsverband Osnabrücker Land e.V. sahen interessiert zu.


Auf 150 Seiten finden sich, in 25 übersichtliche Kapitel gegliedert, jeweils kurze Einführungskapitel der Autoren zum jeweiligen Thema - als da sind Familienbande, Geburt, Spielzeug, Kleidung, Prinzessinnenerziehung, Heiratspolitik, Maskeraden, Schokoladenlust, um nur einige zu nennen, und eine kurzweilige Auswahl authentischer Quellen, zumeist Briefe, auch Auszüge aus Buchveröffentlichungen wie dem "Hebammenkatechismus" oder "Zedlers Universallexikon", Urkunden und Widmungen und andere Texte. Einen breiten Raum nehmen verschiedenartigste Abbildungen ein, repräsentative Porträts ebenso wie Kupferstiche zeitgenössischer (Brett)Spiele, der damaligen Schuhmode oder der Art, Säuglinge zu wickeln. Den Darstellungsabsichten barocker Bildniskultur wird ein eigenes Kapitel gewidmet, ergänzt um kurze didaktische und methodische Hinweise zur Bildverwertung im Unterricht. "Unser Ziel war es jedoch nicht, fertige Unterrichtsprojekte anzubieten, sondern eine Sammlung mit .Baumaterial' und .Handwerkszeug', aus dem das jeweils erwünschte Erkenntnisgebäude gezimmert werden kann", unterstreicht Herausgeberin Dr. Susanne Tauss. So könnten zum Beispiel Informationen über Kleiderordnungen und Schönheitsideal im Barock zu einer Reflexion der heutigen Modediktate, Zwänge und Maßstäbe anregen, sagte Tauss mit Blick auf die Star-Poster, die die Grundschüler in ihrem Klassenzimmer ausgehängt hatten. Die Materialien richten sich an alle Schultypen von der Grundschule bis zum Abitur und können fächerübergreifend, im Geschichts-, Deutsch-, Kunst- oder Musikuntericht eingesetzt werden. Hinweise auf Homepages, Filmmaterial, Musik und Literatur ergänzen die Sammlung. Seinen Dank für die "Kärrnerarbeit" der Autoren, die gute Qualität des Drucks durch das Verlagshaus Rasch, die finanzielle Unterstützung durch die Sparkassenstiftung und die VGH sowie die ideelle Förderung durch Museen und Politiker sagte der Vorsitzende des Landschaftsverbands Osnabrücker Land, Reinhard Sliwka. Durch diese Veröffentlichung komme der Verband seinem Ziel, eine Klammer zwischen Stadt und Landkreis Osnabrück zu sein, wieder ein Stück näher. Sliwka kündigte an, dass jede Schule in Stadt und Landkreis drei Freiexemplare der Materialiensammlung zugestellt bekomme. Weitere Exemplare können zum Preis von 18,00 Euro über den Buchhandel bezogen werden. Dr. Joseph Rottmann zeigte sich erfreut, dass die Veröffentlichung der Sammlung zu diesem Zeitpunkt "gerade noch rechtzeitig" für eine Nutzung beim Schulwettbewerb "Zeitreise" erfolgt sei. "Mit dieser Quellensammlung erhalten wir repräsentative Einblicke in die Lebenswelt des Barock, und auch die Bedeutung der Iburg als 'Landesherrschaft' wird erneut unterstrichen."


Mit tiefem Ernst lebten die Kinder ihre Rollen als junge Hoffräulein und Pagen und begrüßten die Gäste der Buchpräsentation mit einem "barocken" Feuerwerk und zeitgenössischer Musik.

Die Autoren (von links): Steffi Baalmann, Dr. Susanne Tauss, Dr. Ursula Machtemes- Titgemeyer, Ulrike Heuer und Ludwig Woll haben auf 150 Seiten eine spannende Text- und Quellensammlung zu Sophie Charlotte zusammengestellt, die einen breiten kulturgeschichtlichen Bogen von der Prinzessinnen-Erziehung bis hin zum Gebrauch von Flohfallen, von höfischen Ballettmaskeraden bis hin zu barocker Schokoladenlust schlagen.



Ausgabe vom 04.03.06